Remote Leadership – virtuelle Führung
n diesem Jahr wurden auch die letzten Zweifler überzeugt, dass disruptive Veränderungen in unserer Wirtschaft angekommen sind, wir uns in der VUKA-Welt bewegen und die Digitalisierung kein Drohszenario der Beraterzunft ist. Man könnte nun wieder den belehrenden Zeigefinger erheben oder die Aufmerksamkeit auf die kritischen Auswirkungen der Neuen Normalität lenken. Doch die Corona-Krise mit ihren pandemischen Auswirkungen hinterlässt auch schon jetzt durchaus spannende Anpassungen und positive Veränderungen. Dazu gehören sicherlich auch die neu gewonnenen Freiheiten vieler Mitarbeitenden mobiler als je zuvor arbeiten zu können. Erste CFOs hatten bereits im Frühsommer Gedankenspiele zugelassen, wie sich mit den neuen Gegebenheiten Büroflächen einsparen ließen. Führungskräfte berichten uns von einer nie dagewesenen Beschleunigung von Entscheidungen durch effizientere, virtuelle Meetings und so manch einer ist überrascht, was trotz digitaler Zusammenarbeit und Remote Leadership weiterhin möglich ist.
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Doch irgendwie fühlte es sich in den Diskussionen stets so an, als wäre der Spuk irgendwann wieder vorbei und dann kämen wir zurück zum Gewohnten: Mitarbeitende kommen pünktlich morgens ins Büro, jeder sucht seine Lieblingstasse in der Kaffeeküche, in der man gleich mal die neuesten Informationen im Vorbeigehen aufschnappt. Im Teammeeting stellt man fest, dass alle wieder viel zu viel auf dem Tisch haben und die Aufmerksamkeit zieht ein Gerücht über ein neues Bürokonzept magisch an, was jedoch frühestens im Sommer nächsten Jahres realisiert wird.
Was passiert jedoch, wenn es diese „gute alte Zeit“ nicht mehr geben wird? Was geschieht auch in den Köpfen von Führungskräften, wenn sie sich vorstellen, dass der momentane Zustand sehr dem ähneln könnte, wie wir auch in 2 oder mehr Jahren arbeiten? Reflexartig drängt sich dann der Gedanke auf: Wir brauchen eine neue Form von Führung! Denn wer virtuell oder quasi „remote“ führen muss, der sollte sich zumindest hinterfragen, ob gängige Vorgehensweisen noch wirksam sind.
Handelt es sich dabei wirklich um eine andere Form von Führung?
Wir sind überzeugt: Ja und Nein. Fangen wir vielleicht mit dem „Nein“ an. Die grundsätzlichen Führungsaufgaben sind auch in der Neuen Normalität: die Steuerung und Organisation, die Kommunikation, die Entwicklung der Mitarbeitenden, populäre und unpopuläre disziplinarische Führungsaufgaben und bisweilen auch die inhaltliche Mitarbeit. „Nein“ auch deshalb, weil Verhaltensweisen im Remote Leadership nicht gänzlich neu sind, auch wenn sich die Brisanz und die Notwendigkeit geändert haben.
Ein klares „Ja“ sprechen wir aus für jede Führungskraft, die sich mit einer hohen zweistelligen Anzahl an Arbeitsstunden pro Woche mit operativen, fachlichen Dingen beschäftigen muss. Diese könnte bezweifeln, ob Mitarbeitende unkontrolliert überhaupt arbeiten, Leistungen erbringen und ohne das ständig verfügbare Fachwissen der Führungskraft vorankommen können. In Unternehmen, in denen sich Vorstände bis ins Detail von Ihrer ersten Führungsebene unterrichten lassen wollen und in denen seit Jahren das Erfolgsmodell „Aufstieg durch Excellence und Fachlichkeit“ vorherrschten, wird ein Umdenken ebenso wichtiger sein. Hier bezieht sich das „Ja“ nicht nur auf einzelne Verhaltensweisen, sondern auch auf die Haltung zum Thema Führung.
Erfahrungsgemäß werden die Mitarbeitenden jedoch nicht darauf warten, dass sich die Kultur des Unternehmens oder die Haltung ihrer Führungskraft anpasst. Sie werden auch durch ihr Engagement und ihren Output zum Ausdruck bringen, wie gut sie sich unter den neuen Rahmenbedingungen geführt wissen. Getreu der Sichtweise von Cynthia McCauley auf die Frage: „Woran erkennt man, dass geführt wird? Schaue auf die gemeinsame Richtung, die geteilte Auffassung und das erreichte Commitment im Team“ ist für uns die Sinnstiftung und Wertearbeit das zentrale Element beim Remote Leadership. Warum? Weil ich als Führungskraft bei der Lösungserarbeitung nur noch Rahmen und Bewertungsmaßstäbe benennen kann und dann darauf vertrauen muss, dass meine Mitarbeitenden innerhalb dieses Rahmens handeln. In der konkreten Umsetzung können sinnvoll formulierte Ziele eine Hilfestellung sein, wie z.B. durch die Methode ‚Objectives and Key Results`(OKR). Wirksamer als je zuvor ist es durch heutige Tools (wie z.B. Jira, Planner, Trello, …) diese Zielerreichung und Aufgabenerledigungen für alle transparent zu organisieren. Wir meinen damit ausdrücklich keine Zielvorgabe als alleiniger Top-Down-Ansatz, sondern einen Prozess der Zieldefinition, der Verständnis auslöst und sich mit den Motiven der Mitarbeitenden im besten Fall im Einklang befindet.
Weiterhin bleibt „Kommunikation“ das Führungsinstrument auch in der Virtualität. Nur halt etwas anders. Es ist sogar ein höherer Kommunikationsbedarf (dafür kürzer und fokussierter) nötig, da die vielen zufälligen Begegnungen auf dem Flur, im Nachbarbüro oder der Kaffeeküche wegfallen. Zudem ist es bei all den neuen Gegebenheiten und Fragestellungen unumgänglich, als Führungskraft Spielregeln mit dem eigenen Team zu vereinbaren. Diese betreffen in erster Linie die Meetings, die Kontaktaufnahmen und Vereinbarungen zur Aufgabentransparenz. Jedoch sind auch die informellen Austausche und der Umgang mit relevanten Stakeholdern inbegriffen.
Bei all den Herausforderungen und Neuerungen ist eine gesunde Selbstführung wichtig. Plane ich mir ausreichend Puffer- und eigene Lernzeiten ein? Kann ich mich vor meinem Team als Lernender zeigen oder halte ich den Mythos der Unfehlbarkeit aufrecht? Weiß jeder im Team wann und wie ich erreichbar bin? Wie halte ich mich geistig und auch körperlich im Homeoffice fit, so dass ich belastbar bleibe und in wichtigen Momenten gelassen reagiere? …
Wir empfehlen bei der Reflexion der angemessenen Führungs- und Einflussnahmen derzeit das „ZUSAMMEN“-Arbeitsmodell. Es steht als Akronym für Ziele, Unterstützung, Spielregeln, Aufgabentransparenz, Meetingeffizienz, Menschlichkeit, Erwartungen und Nachfragen.
Die ZIELE müssen für alle im Team klar und transparent vereinbart sein. Ein dahinterstehender Zweck gibt den Mitarbeitenden eine übergeordnete Orientierung. Im Team sollte geklärt sein, ob Sie als Führungskraft oder andere die Termin-, Qualitäts- und Kostenkontrolle übernehmen. Ist der Grund für das Ergebnis geklärt? Wurde geregelt, wann und wie Feedback und eine Dokumentation erfolgen sollen und wie auftretende Probleme gelöst werden können? Gibt es ein klares Verständnis, wann die Aufgabe als erfüllt angesehen werden kann (Definition of Done)?
UNTERSTÜTZUNG anbieten und damit als Vorbild wirken, um Commitment zu sichern. In Teammeetings und vor allem im Einzelkontakt können Sie als Führungskraft auch virtuell Ihre Hilfe anbieten. Und unterschätzen Sie nicht, dass auch indirekte Aspekte, wie Freiraum gewähren, Lernpartner vermitteln, Zutrauen, Reflexionsfragen stellen, … als sehr unterstützend wahrgenommen werden können.
Klären Sie die SPIELREGELN mit dem Team, wie Arbeitsaufträge intern wie von extern erfolgen sollen? Wann besteht im Team die Chance, dass alle erreichbar sind? Wo besteht individuelle Entscheidungsfreiheit und wo hat das Team feste Vereinbarungen zu treffen? Von teamstärkenden Routinen bis hin zu Notfallregeln … sprechen Sie mit Ihrem Team ab, wie es für alle als förderlich und klärend wahrgenommen wird.
AUFGABEN und die dazugehörigen Verantwortungen sollten transparent delegiert werden. „Free-Rider“ Phänomene können dadurch verhindert und Good Practices rasch aufgezeigt werden.
Eine hohe MEETINGEFFIZIENZ erhöht die Qualität der Beiträge, trägt zur Aktivierung der Teilnehmenden und einer zielbewussten Diskussionskultur im Team bei. Ob Sie dabei Methoden aus dem Agilen Management-Repertoire wie Timeboxing, Timepoker, etc. nutzen, relevante Rollen verteilen und Protokolle live und für alle offen einsehbar im Meeting entstehen können, bleibt Ihnen überlassen.
Da die Kontakteinschränkungen und die Distanz zu weniger Bindung im Team führen können, braucht es Raum für MENSCHLICHKEIT. Das Menschelnde kann auch der erhöhten Effizienz der Meetings zum Opfer fallen. Hier liegt ein besonderer Bedarf in der bewussten Planung von Einzelkontakten durch Sie als Führungskraft im Remote Leadership. Die Bedürfnisse sind bestimmt auch in Ihrem Team sehr heterogen. Eine regelmäßige Überprüfung beugt jedoch vor, dass Sie Veränderungen übersehen.
Ohnehin eine Königsdisziplin im Führungsalltag ist das Managen von teils widersprüchlichen, unausgesprochenen ERWARTUNGEN. Insbesondere fallen darunter falsche Erwartungen der Mitarbeitenden. Erfassen Sie regelmäßig Stimmungslagen, Wünsche und Lösungsideen für die Neue Normalität im Team und sprechen Sie dabei klar und verständlich aus, was umgesetzt werden kann und was wiederum nicht. Hier liegt sicher immer ein Risiko durch ausgelöste Enttäuschungen und gleichzeitig auch die Chance, Ihre Werteüberzeugung als Führungskraft zu vertreten.
Last but not least: NACHFRAGEN – was in unserem Verständnis ein offenes Zuhören mit einer gehörigen Portion Lernbereitschaft und auch pfiffige Reflexionsfragen bedeutet, um Spielregeln und gestartete Experimente in der Neuen Normalität sowie die Wirksamkeit des eigenen Führungsverhalten sachdienlich zu überprüfen.
Weiteres zu diesem Thema finden Sie bei uns auch unter Remote-Coaching und Digital Leadership.
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